Wer unter einer vermuteten Allergie leidet, weiß, wie langwierig das Prozedere ist, bis Klarheit herrscht – von der Terminvereinbarung über die Blutabnahme bis zum Ergebnis. Indem sie smarte Software rund um eine neue Technologie entwickelten, schufen Dominik Flener und sein Partner Gerhard Feilmayr igevia, einen einfach zu handhabenden Allergie-Test, den jeder zu Hause selbst durchführen kann.
Redakteur: Martin Swoboda, Port41
Port41 lernte Dominik Flener auf dem 4GAMECHANGERS-Festival kennen, wo igevia eine der drei Pre-Pitch-Sessions gewann.
Meine Mutter hat in der klinischen Forschung gearbeitet, mein Vater hatte ein Unternehmen für Health Care Consulting-Trainings, ich bin also in einem pharmazeutischen Umfeld aufgewachsen. Ich habe mich ganz bewusst für das Studium der Wirtschaftspädagogik an der WU entschieden und bin dann in die Firma meines Vaters eingestiegen, später habe ich das Unternehmen von ihm übernommen.
Unabhängig davon habe ich 2017 mit meinem Partner, dem Agenturinhaber und Kommunikationsberater Gerhard Feilmayr, Adliance, ein Unternehmen, das Software für Medizintechnikunternehmen und Therapiesicherheit entwickelt, gegründet. Adliance entwickelt Programme, die Abläufe und Qualitätsstandards sicherstellen.
Einer unserer Kunden war Macro Array Diagnostics. Das Unternehmen hat einen Chip entwickelt, der auf Basis von ein paar Tropfen Blut umfassende Allergie-Diagnosen stellen und 273 Allergene (Aktualisierung im Jänner 2023: 295 Allergene) erkennen kann. Das ist ein entscheidender Fortschritt gegenüber der alten Methode, wo die Haut geritzt und den Allergenen ausgesetzt werden musste, um Reaktionen zu provozieren.
Wir haben in diesem Allergen-Chip rasch das Potenzial für die Anwendung in der Praxis erkannt und uns 2018 die Exklusivrechte gesichert. Der Chip ist heute das Herzstück von igevia, mit unserem Allergy Explorer-Programm haben wir ihn sozusagen „kommunikationsfähig“ gemacht. Wir haben die Software mitentwickelt, mit deren Hilfe es möglich ist, die Daten, die der Chip ermittelt, in Form eines übersichtlichen Allergiestatus darzustellen. Bald wurden der Chip und die Software in vielen Labors eingesetzt. Wir hätten also zufrieden sein können. Aber dann haben wir doch ein Stück weiter gedacht.
Wie kann man den Allergie-Test weiter vereinfachen? Üblicherweise macht man einen Termin für die Blutabnahme aus und geht dann nochmals in Labor, um die Ergebnisse abzuholen. Unsere Überlegung: Wenn man den Test zu Hause machen könnte, würde das viel Zeit sparen. Die Idee hatten wir im Februar 2018, im April war igevia am Markt – Hard- und Software waren ja bereits vorhanden.
Wir mussten nur noch einen Weg finden, das Produkt zu erklären, an die Konsumenten zu bringen und die Logistik für Rücksendung und Auswertung entwickeln. Dazu waren keine großen Investitionen nötig, wir haben das zur Gänze selbst finanziert. Wenn wir an Pitches oder Präsentationen teilgenommen haben, ging es uns in erster Linie darum, bekannt zu werden. Für die Internationalisierung – wir möchten als nächstes in Deutschland, UK, Irland und Südafrika auf den Markt – suchen wir allerdings noch Investoren.
Von der neuen Technologie zum Produkt Zwar gab es zu diesem Zeitpunkt schon Unverträglichkeitstests für daheim, die man einschicken konnte, die konnten aber nur auf Antikörper vom Typ Immunglobulin G testen, die Aussagekraft dieser Methode ist nicht besonders befriedigend.
Mit unserer Methode messen wir hingegen die Immunglobulin E-Werte, auf deren Basis sich wissenschaftlich verlässliche und aussagekräftige Aussagen über relevante Allergene und Unverträglichkeiten treffen lassen, inklusive Informationen über deren Quellen. Wenn jemand etwa unter Birkenpollen-Allergie leidet, identifiziert unser Test auch, um welche Art (der molekularen Komponente) es sich handelt: Es gibt da vier verschiedene, eine hat eine Wechselwirkung mit Haselnuss, eine andere nicht, dafür aber mit dem Olivenbaum.
Wir haben also das Test-Set entwickelt, man kann es online bestellen und sich nach Hause schicken lassen. Die Packung enthält – neben umfangreichen Informationen, wie der Vorgang abläuft und was zu beachten ist – ein speziell entwickeltes Blutabnahmeset. Die Nadel ist speziell geschützt, nur während der Abnahme schnellt sie für den Bruchteil einer Sekunde aus einer Schutzhülle heraus, man kann sie also problemlos ohne Infektionsrisiko im Hausmüll entsorgen.
Dazu gibt es eine Ampulle für das abgenommene Blut, die wiederum in einer zweiten Röhre verschlossen wird. Ein Folienkuvert macht das Set komplett, so sind sämtliche Vorschriften für den postalischen Transport von Blut erfüllt.
Um sicherzustellen, dass wir alle Vorschriften erfüllen, haben wir eng mit der Post zusammengearbeitet. Auch die ideale Verpackung und das Kuvert sowie den Ablauf von der Versandbestätigung bis zum reibungslosen Transport vom Kunden ins Labor haben wir in Kooperation mit der Post entwickelt.
Essentiell ist natürlich, dass die korrekte Blutprobe dem richtigen Kunden zugeordnet wird, daran haben wir lange herumgetüftelt. Nun hat jede Box und jedes Blutproberöhrchen einen individuellen Code, den man als Selbsttester aktiviert, sich registriert und mit seiner Mailadresse und seinem Namen verknüpft. Via Mail bekommt man dann den Zugang zur Website, wo man sein Ergebnis abrufen kann, sobald die Blutprobe in unserem Partnerlabor analysiert wurde.
Der Chip von Macro Array Diagnostics kann wie gesagt 273 Allergene (Aktualisierung im Jänner 2023: 295 Allergene) erkennen. Worauf und wie stark der Kunde allergisch ist, wird mit unserer Software ausgelesen und in einem zwölf Seiten umfassenden Report festgehalten, inklusive Kreuzreaktionen. Das ist – abgesehen vom Komfort – ein ganz entscheidender Vorteil gegenüber dem bisherigen Ritz-Test. Damit konnte man etwa feststellen, dass die getestete Person auf Birke allergisch reagiert, aber man erfuhr nichts über die Einzelkomponenten oder Kreuzreaktionen. Das ließ sich erst über langwierige weitere Tests herausfinden.
Derzeit sind wir die Einzigen, die so ein Produkt anbieten. Für die Nutzung des Chips im „Out of Home“-Verfahren haben wir die Exklusivrechte. Selbst wenn also eine Firma aus der Branche igevia kopieren wollte, müsste sie erst eine neue Technologie erfinden. Aber das ist unwahrscheinlich, die Pharmabranche denkt in Sachen Vermarktung recht konservativ: E-Commerce und Onlinehandel zählt noch nicht zu ihren Stärken.
Wir hingegen setzten um so mehr darauf: Für den Markteintritt in Großbritannien etwa haben wir eine sehr differenzierte Online-Marketing-Strategie entwickelt. Wir nutzen auch die Sozialen Netzwerke und haben dabei einiges gelernt. Facebook etwa ist gut geeignet, um Bekanntheit zu erlangen. Über LinkedIn wollten wir an die Medizinische Community herankommen, das hat allerdings nicht so gut funktioniert. Dafür haben wir über Instagram eine durchaus interessante Zielgruppe gefunden, denn da folgen uns viele Ausdauersportler wie Marathonläufer oder Triathleten. Bei denen ist natürlich der Leidensdruck während des Trainings besonders hoch, wenn sie unter Allergien leiden.
Mit der Auswertung der Tests bekommen unsere Kunden auch Vorschläge für weitere Schritte, wir schlagen ihnen etwa Ärzte vor, die sich mit dem Thema auskennen. Und wir versuchen umgekehrt, auch die Ärzte und Apotheker für unser Produkt zu gewinnen.
Vor allem Wahlärzte erkennen die Vorteile, die letztendlich auch den Preis von knapp 200 Euro rechtfertigen: Sie ersparen sich das Risiko, einen Patienten, der unter Umständen wochenlang auf die Ergebnisse aus dem Labor wartet, danach nicht mehr wiederzusehen. Dank unseres Tests können sie bei der Blutabnahme gleich den nächsten Termin vereinbaren und 10 Tage später das Ergebnis besprechen. Und Kinderärzte sehen den Vorteil für ihre kleinen Patienten, weil sie diese nicht mehr Hautritzungen und den folgenden allergischen Reaktionen aussetzen zu müssen.
Auch wenn das Test-Set in erster Linie für Konsumenten gedacht ist, die selbst testen wollen, liegt bei den Ärzten wohl noch größeres Potential. Schließlich sollte man das Ergebnis mit einem Facharzt oder einer Fachärztin besprechen.
Derzeit arbeiten wir daran, den Nutzen des Tests, der über den medizinischen Aspekt hinausgeht, zu definieren. Man kann etwa, wenn man seine Allergien genau kennt, den Urlaub besser planen. Wenn ich zum Beispiel gegen Birken allergisch bin, werde ich Skandinavien nicht zur Zeit der Birkenblüte besuchen. Die Datenlage ist da ja schon sehr gut, viele Wettervorhersagen beinhalten auch Heuschnupfenwarnungen.
Auch mit einer Koch-App kann man die Daten verknüpfen, damit diese keine Rezepte mit Allergenen vorschlägt. Und bei der Wohnungssuche ist es gut zu wissen, welcher Baum da im schön begrünten Innenhof steht und ob man mit dem zusammenleben will.
Interessant ist auch, dass wir immer wieder Anrufe von zufriedenen Kunden bekommen, die gerne auch ihr Haustier auf Allergien testen würden. Aber die Datenlage und die aktuell verwendeten Allergene auf dem Chip lassen eine wissenschaftlich fundierte Auswertung nicht wirklich zu. Deshalb bleiben wir vorerst einmal beim Menschen, da kennen wir uns nämlich wirklich gut aus.
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